BGH: Biomineralwasser: Weiterhin unzureichende Transparenz bei der Bio-Kennzeichnung

Nach einer Entscheidung des BGH ist es grundsätzlich zulässig mit dem Begriff „Biomineralwasser“ zu werben, ohne dass nähere Angaben zu den Beurteilungskriterien, die die Bezeichnung „Bio“ rechtfertigen sollen, erforderlich sind (BGH Urt. v. 13.09.2012, I ZR 230/11). Ein Mineralwasserhersteller hatte sein Produkt als Biomineralwasser gekennzeichnet. Da Mineralwasser nicht in den Anwendungsbereich der Öko-Verordnung (EG) 834/2007 fällt, durfte der Hersteller zwar kein Siegel verwenden, das dem bekannten Bio-Siegel nach der Öko-Kennzeichnungsverordnung ähnelte. Der BGH verneinte jedoch eine Irreführung durch die Bezeichnung „Biomineralwasser“, obwohl die Kriterien zur Rechtfertigung des Begriffs „Bio“ (Wasserqualität, Reinheit, Schadstoffgehalt etc.) mangels Geltung der Öko-Verordnung einerseits und mangels Angaben durch den Hersteller andererseits völlig im Dunkeln blieben.

Anmerkung:

Die Entscheidung überzeugt nur teilweise. Zwar stellt der BGH zunächst zutreffend klar, dass neben der Bezeichnung „natürliches Mineralwasser“ weitere Angaben wie „Biomineralwasser“ zulässig seien und somit kein Verstoß gegen die Kennzeichnungsvorgaben von §§ 3, 4 LMKV i. V. m. § 2 der Mineral- und Tafelwasserverordnung vorliege, weil das Lebensmittelkennzeichnungsrecht offen ist für zusätzliche Angaben zur Beschaffenheit, sofern dadurch keine Fehlvorstellungen über den Inhalt des in der Fertigpackung angebotenen Lebensmittels erzeugt werden.* Eine Ergänzung verkehrsüblicher Bezeichnungen i. S. v. § 4 Abs. 1 Nr. 1 LMKV mit beschreibenden Angaben, Hersteller- oder Handelsmarken oder auch Phantasiebezeichnungen sei zulässig, soweit der Verkehr dadurch nicht irregeführt werde. Dem ist zuzustimmen, da der Verbraucher bei Bioprodukten einen natürlichen Ursprung des Erzeugnisses erwartet und insoweit nicht in die Irre geleitet wird. Weiterhin bestätigt der BGH zutreffend das Verbot der Verwendung eines dem bekannten Bio-Siegel nach Öko-Kennzeichnungsverordnung ähnlichen Siegels, da die VO (EG) 834/2007 für Mineralwasser gar nicht anwendbar ist.

Jedoch setzt sich das Gericht in keiner Weise mit dem Umstand auseinander, wie der Verbraucher beurteilen soll, ob er es tatsächlich mit einem Bio-Produkt zu tun hat. Das bekannte Bio-Siegel enthält den klaren Hinweis auf die EG-Öko-Verordnung, welche einen zumindest recherchierbaren Rechtsrahmen vorgibt, über den sich der Verbraucher informieren kann. Dem ist nicht so, wenn Hersteller frei bestimmen können, unter welchen Bedingungen sie den Begriff „Bio“ verwenden. Dem Verbraucher fehlt dann jede Vergleichsmöglichkeit mit natürlichen Mineralwässern. Zwar führt der BGH aus, dass der Verkehr von einem Biomineralwasser erwarte, dass es nicht nur unbehandelt und frei von Zusatzstoffen sei, sondern im Hinblick auf das Vorhandensein von Rückständen und Schadstoffen auch „deutlich reiner“ sei als herkömmliches Mineralwasser; insoweit unterschieden sich Mineralwässer, die die gesetzlichen Grenzwerte nochmals deutlich unterschreiten, von natürlichen Mineralwässern, bei denen der Gehalt an Rückständen und Schadstoffen nahe an diesen Grenzwerten liege. Der BGH bleibt jedoch jegliche Ausführungen darüber schuldig, wie „deutlich“ die Unterschreitung ausfallen muss und wie der Verbraucher das erkennen können soll, wenn kein Bewertungssystem bzw. keine Beurteilungskriterien zur Verfügung gestellt werden. Die Entscheidung ist daher insoweit nicht überzeugend, weil ein Verbraucher, dem Bio-Eigenschaften empfohlen werden, ohne diese unmittelbar transparent und nachvollziehbar zu machen, durchaus in die Irre geführt werden kann. Das Urteil ist auch für die Lebensmittelpraxis nicht hilfreich, weil in Bereichen außerhalb der Öko-Verordnung der Phantasie der Bio-Erfinder nur unzureichend Grenzen gesetzt werden.

Hintergrund und Ausblick:

Die Judikatur des besprochenen Falls zeigt auf, wie wenig Transparenz der Gesetzgeber der Bio-Kennzeichnung abverlangt, und wie schwer es den Gerichten fällt damit umzugehen. Es sollte auch außerhalb der EG-Öko-Verordnung ein klarer Rechtsrahmen darüber geschaffen werden, unter welchen Bedingungen die Verwendung des Begriffs „Bio“ zulässig ist. Es gibt durchaus beachtliche Versuche beispielsweise für Mineralwasser Bio-Richtlinien zu etablieren. Im vorliegenden Fall erfolgte tatsächlich eine Bio-Zertifizierung nach einer Richtlinie, die ein Verein erarbeitet hat und die öffentlich zugänglich ist. Jedoch schließt sich hier die Frage an, wie verlässlich derartige Richtlinien sind, insbesondere inwieweit sie einer staatlichen oder staatlich anerkannten Überprüfung oder Bewertung unterzogen werden sollten. Des Weiteren ist fraglich, was von Bio-Zertifikaten gehalten werden darf, deren Aussteller (private Zertifizierungsstellen) sich einerseits auf diese Richtlinien beziehen und andererseits von der DAkkS insoweit nicht entsprechend akkreditiert wurden. Daher wäre neben einer klaren und alle Lebensmittel umfassenden „Bio-Gesetzgebung“, in der nachzulesen ist, unter welchen Voraussetzungen das Wort „Bio“ verwendet werden darf, eine Regelung wünschenswert, die das Zertifizierungs- und Akkreditierungsrecht mit einschließt mit dem Ziel, Bio-Richtlinien und -Zertifikate unter bestimmten Voraussetzungen gesetzlich zu legitimieren und Verbrauchern wie Unternehmen eindeutige Qualitätskriterien im gesamten Bio-Bereich an die Hand zu geben.

* Die vorhergehende Fassung des Beitrags referierte dahingehend, dass laut BGH eine Ersetzung der gesetzlichen Verkehrsbezeichnung zulässig sei, soweit keine Irreführung vorliege. Richtigerweise ging es jedoch nur um eine zulässige Ergänzung der vorgeschriebenen Verkehrsbezeichnung durch weitere, nicht irreführende Angaben. Wir bitten, das Versehen zu entschuldigen.

OLG Hamm: Homöopathika (Schüßlersalze): Bewerbung als „sanfte Begleiter in der Schwangerschaft“ irreführend

Nach Auffassung des OLG Hamm (Urt. v. 13.12.1012, I-4 U 141/12) verstößt eine Werbung für Schüßlersalze T2 Nr. 7 und Nr. 2 (Magnesium phosphoricum und Calcium phosphoricum) auch gegenüber Fachkreisen (Hebammen) gegen § 3 Abs. 1 HWG, wenn diese ohne Angabe von Anwendungsgebieten als „sanfte Begleiter in der Schwangerschaft“ bezeichnet werden. Die Werbung hatte es vermieden, konkrete Beschwerden oder Krankheiten zu nennen und umging auf diese Weise zunächst § 5 HWG, wonach für homöopathische Arzneimittel, die nach dem Arzneimittelgesetz registriert oder von der Registrierung freigestellt sind, nicht mit der Angabe von Anwendungsgebieten geworben werden darf. Bei der Schwangerschaft handelt es sich nach der Entscheidung nicht um ein Anwendungsgebiet i. S. d. § 5 HWG. Der Begriff „Anwendungsgebiet“ stehe grundsätzlich für Indikationen, für die das Arzneimittel zugelassen sei. Im Falle von Homöopathika, wo keine Zulassung existiere, träten an die Stelle der Zulassung die spezifischen Anwendungsgebiete nach der homöopathischen Therapierichtung. Als solche kämen Krankheiten, Leiden, Körperschäden oder krankhafte Beschwerden in Betracht, in Bezug auf die das Arzneimittel nach der homöopathischen Lehre Wirkung entfalten soll. Zu solchen Beschwerden zähle die normale Schwangerschaft nicht.

Trotz fehlenden Verstoßes gegen § 5 HWG sah das Gericht jedoch den Fall einer irreführenden Heilmittelwerbung (Verstoß gegen § 3 S. 2 Nr. 1 HWG) als gegeben an: Die Werbung erwecke den Eindruck, dass die Arzneimittel als sanfte Schwangerschaftsbegleiter schonend und dauerhaft positiven Einfluss speziell bei Schwangeren entfalten können, die Krankheiten oder Beschwerden aus dem Anwendungsbereich der genannten Arzneimittel aufwiesen. Sie sollten sanft sein, also möglichst wenige Nebenwirkungen entfalten. Als „Begleiter“ sollten sie außerdem dauerhaften Schutz bieten; die Schwangerschaft sei schließlich der typische Einsatzbereich der Präparate. Für all diese Wirkungen lägen keine hinreichenden wissenschaftlichen Nachweise vor. Gerade weil bei Homöopathika aufgrund des hohen Verdünnungsgrades ein Wirksamkeitsnachweis kaum zu führen sei, sei die Werbung mit Anwendungsgebieten verboten. Der Werbende könne § 5 HWG nicht dadurch umgehen, dass er nicht die eigentlichen Anwendungsgebiete nennt, sondern auf eine Empfehlung durch die Hebammen in einem allgemeiner gehaltenen Einsatzbereich hinwirkt.

Anmerkung:  Das OLG Hamm legt die spezielle Werbebeschränkung für Homöopathika mit guten Argumenten weit aus. Auch außerhalb des Anwendungsbereichs des § 5 HWG, der den Begriff „Anwendungsgebiet“ relativ eng versteht i. S. v. Krankheiten oder Beschwerden und daher vorliegend nicht einschlägig war, können die Werbebeschränkungen des § 3 HWG (Irreführungsverbot) greifen, wenn hinreichend konkrete Wirkungen behauptet werden (etwa „Sanftheit“, „typisch für Einsatz in der Schwangerschaft“), die bei Homöopathika naturgemäß kaum beweisbar sind. Bei Homöopathika ist demnach auch bei der Werbung für allgemein gehaltene Einsatzgebiete, die keine Beschwerden oder Krankheiten i. S. d. § 5 HWG darstellen, höchste Vorsicht geboten.

OLG Düsseldorf: Schon Verdacht einer Arzneimittelfälschung begründet Rechtsmängelhaftung

Der Herstellerrückruf eines Arzneimittels allein aufgrund eines Verdachts einer Arzneimittelfälschung begründet einen Rechtsmangel und damit einen Anspruch auf Nacherfüllung bzw. Schadensersatz gem. § 281 Abs. 1 BGB. Ein Hersteller hatte einen Arzneimittelrückruf als „vorsorgliche Maßnahme aufgrund des Verdachts einer Arzneimittelfälschung“ veröffentlicht. Eine von einem Zwischenhändler belieferte Apotheke machte gegen diesen unter Berufung auf Mängel an der betroffenen Ware Schadensersatz geltend. Das Gericht erkannte im vorliegenden Fall auf einen Rechtsmangel i. S. d. § 435 BGB, da nach dem Rückruf nicht auszuschließen gewesen sei, dass die Ware gefälscht sei und die Ware wegen der arzneimittelrechtlichen Verpflichtungen, die aus dem Rückruf folgen, nicht mehr verkäuflich gewesen sei.

Anmerkung: Schon aus einem Arzneimittelrückruf folgt die Mangelhaftigkeit der Ware nebst den nachgelagerten Ersatzansprüchen des Kunden gegenüber seinem Lieferanten. Nach der Entscheidung des OLG bedarf es nicht erst einer positiven Feststellung der Arzneimittelfälschung, da die Ware faktisch schon im Rückrufsfalle nicht ohne Verstoß gegen Arzneimittelrecht verkäuflich ist. Dem ist uneingeschränkt zuzustimmen. Lieferanten müssen also unmittelbar nach Rückrufseinleitung gegenüber ihren Kunden reagieren und dürfen nicht erst die weiteren Ermittlungen der Staatsanwaltschaft abwarten. Die Frage, inwieweit sich der Fälschungsverdacht nachträglich bestätigt, ist erst nachgeordnet zu beantworten. Hier muss der zuvor aufgrund des Mangels in Anspruch genommene Lieferant sich grundsätzlich an seinen Vorlieferanten halten.

VG Ansbach: Abgrenzung Kosmetika – Arzneimittel

Erzeugnisse können auch dann als Kosmetika eingestuft werden, wenn sie einen medizinischen Nebenzweck oder einen der pflegenden Wirkung untergeordneten vorbeugenden Verwendungszweck haben, solange die Hauptwirkung für den Verbraucher kosmetischer Natur ist (VG Ansbach, Urt. v. 20.11.2013, AN 1 K 11.02035). In dem der Entscheidung zu Grunde liegenden Verfahren war ein Verstoß gegen diverse Vorschriften des Kosmetikrechts (u. a. Kennzeichnungsrecht) festgestellt worden, nachdem eine Apothekerin dem Verbraucher Hautpflegemittel nach individuell wählbarer Rezeptur (verschiedene Basiscremes, Wirk- und Duftstoffe) angeboten hatte. Die Cremes wurden nicht arzneilich beworben. Lediglich die zur Wahl gestellten Wirkstoffe waren solche ambivalenter Natur (v. a. Vitamine und Pflanzenextrakte), deren Einsatzgebiete zumindest auch Krankheiten wie Akne sind. Das Gericht folgte den Überwachungsbehörden und erkannte insbesondere die Berufung der Apothekerin auf das Rezepturarzneimittelrecht nicht an.

Anmerkung: Will man mittels Berufung auf die sog. Zweifelsregelung des § 2 Abs. 3a AMG zu einer Einstufung eines Pflegemittels als Arzneimittel gelangen, bedarf es mehr als der Verwendung ambivalenter Wirkstoffe. Dem Verwaltungsgericht ist insoweit zuzustimmen, weil die Produktaufmachung selbst zunächst einmal einen Zweifel beim Verbraucher hervorrufen muss, ob ein Kosmetikum oder ein Arzneimittel vorliegt. Da im vorliegenden Fall kein Funktionsarzneimittel vorlag, konnte man nur über den Präsentationsarzneimittelbegriff zu einer Arzneimitteleigenschaft gelangen. Dieser Weg war indes mangels hinreichender Auslobung der Pflegemittel versperrt.

BVerwG: Selbstbedienungsverbot für OTCs trotz Arzneimittelversandhandel

Das Bundesverwaltungsgericht hält im Falle der Auslage von OTCs im Freiwahlbereich der Apotheke das Selbstbedienungsverbot für apothekenpflichtige Arzneimittel (§ 52 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3 AMG, § 17 Abs. 3 ApBetrO) trotz Zulassung des Versandhandels nach wie vor für anwendbar (BVerwG Urt. v. 18.10.2012 – 3 C 25.11). Einem Apotheker war behördlich untersagt worden, OTCs im Freiwahlbereich feilzubieten. Das BVerwG bestätigte diese Entscheidung. Die Zulassung des Versandhandels durch das GKV-Modernisierungsgesetz vom 14.11.2003 führe zu keiner anderen verfassungsrechtlichen Bewertung. Der vom Apotheker geltend gemachte Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitsgrundsatz (Art. 3 Abs. 1 GG) liege nicht vor. Zwar könnten faktische Neuerungen im  Arzneimittelvertrieb und sie nachvollziehende Rechtsvorschriften Bedeutung gewinnen für die Frage, ob Beschränkungen der Arzneimittelabgabe nach Art. 12 Abs. 1 GG gerechtfertigt sind. Gefahreinschätzungen seien nicht mehr schlüssig, wenn identischen oder vergleichbaren Gefährdungen in denselben oder in anderen, aber dieselbe Materie bestreffenden Gesetzen unterschiedliches Gewicht beigemessen wird (BVerfGE 107, 186/197). Dies ist nach Ansicht des Gerichts jedoch nicht der Fall aus dreierlei Gründen: 1. unterscheide sich der Versandhandel insofern vom Präsenzhandel als der Kunde im Versandhandel häufig nicht beratungsbedürftig sei, weil er z.B. als Chroniker oder bei wiederholter Medikation mit den bestellten Arzneimitteln bereits vertraut sei. Demgegenüber sei bei der Präsenzapotheke zu berücksichtigen, dass diese von vielen Kunden mit akuten Beschwerden kurzfristig aufgesucht würden, was deren Beratungsbedarf erhöhe. 2. unterliege auch die Arzneimittelabgabe im Versandhandel der uneingeschränkten Kontrolle des Apothekers. Der Gesetzgeber verzichte lediglich darauf, den Abgabevorgang räumlich an die Präsenzapotheke zu binden. Er verlange aber wie beim Kauf vor Ort, dass die Medikamente institutionell durch die Apotheke und verantwortlich durch den Apothekenleiter und dessen Personal abgegeben werden. Die Vertriebsform des Versandhandels sei mit der Selbstbedienung auch nicht vergleichbar. Zwar möge man gewisse Anklänge daran sehen, dass der Kunde bei der Bestellung über das Internet einen virtuellen Warenkorb füllen kann. Darin liege aber kein freier Warenzugriff, wie er für die Selbstbedienung kennzeichnend sei. Denn eine Aushändigung des ausgesuchten Medikaments sei damit nicht verbunden. 3. zeigten die Beratungsvorschriften des § 17 Abs. 2a Nr. 7 ApBetrO, dass der Normgeber der Beratung auch im Versandhandel besondere Bedeutung zumesse.

Anmerkung: Die Begründung des Gerichts überzeugt nicht. Ad 1: Im ersten Teil seiner Begründung argumentiert das BVerwG im Kern damit, dass die Kunden im Versandhandel weniger beratungs- und damit weniger schutzbedürftig seien als in der Präsenzapotheke. Dies mag für einen Teil der Kunden durchaus zutreffen (z. B. Patienten mit sich wiederholender Medikation), betrifft jedoch keinesfalls den gesamten Kundenkreis. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass Versandapotheken auch von Kunden in Anspruch genommen werden, die derjenigen Gruppe zugehörig sind, die das Gericht gerade den Präsenzapotheken zuweist, also Kunden mit akuten Beschwerden und kurzfristigem Versorgungs- und Beratungsbedarf. Dieser Tatsache versuchen § 11a ApoG S. 1 Nr. 3a (Versendungsfrist) und § 17 Abs. 2a S. 1 Nr. 7 ApBetrO (Beratung) gerade gerecht zu werden. Wenn demnach jedenfalls ein Teil derjenigen Apothekenkunden, dies das Gericht bei der Präsenzapotheke ansiedelt, auch im Versandhandel bestellt, greift die Differenzierung des Gerichts in unterschiedliche Kundenkreise nicht durch.

Ad 2: Wenn das Gericht in zweiter Argumentationsstufe weiter zu differenzieren versucht, im Versandhandel unterliege die Arzneimittelabgabe der uneingeschränkten Kontrolle des Apothekers, so ist diese Feststellung für sich betrachtet zwar zutreffend. Denn der Apotheker (bzw. sein Personal) muss die Abgabe, also den Versand des Päckchens, freigeben. Diese Feststellung greift jedoch für die vorliegende Beurteilung der Zulässigkeit der Auslage von OTCs im Freiwahlbereich der Offizin zu kurz. Denn auch bei der Selbstbedienung bleibt dem Apotheker (bzw. seinem Personal) die uneingeschränkte Kontrolle über die Arzneimittelabgabe. Der Kunde muss die Ware erst zur Kasse bringen, bezahlen und ausgehändigt erhalten, bevor er darüber verfügen kann. Erst nach Übergabe der Ware durch den Apotheker verlässt diese dessen Verfügungsgewalt. Dies entspricht genau dem vom BVerwG für den Versandhandel angeführten Freigabevorgang. Ein qualitativ werthaltiges Unterscheidungskriterium zwischen der Abgabe eines OTC-Präparats über das Internet einerseits und über den Freiwahlbereich der Präsenzapotheke andererseits kann folglich nicht festgestellt werden: In beiden Fällen geht der Kunde mit seinem „Warenkorb“ (einmal virtuell, einmal real) zur Kasse; in beiden Fällen prüft das Apothekenpersonal den Kaufgegenstand unter pharmazeutischen Gesichtspunkten und gibt ihn anschließend frei.

Ad 3: Dass der Gesetzgeber der pharmazeutischen Beratung auch im Versandhandel eine hohe Bedeutung zumisst, ist zutreffend. Jedoch folgt daraus nicht, dass der Beratungsbedarf in der Präsenzapotheke höher zu veranschlagen ist. Vielmehr darf die Beratungsqualität im Versandhandel gerade wegen der gesetzgeberischen Wertung nicht hinter dem Präsenzhandel zurückstehen. Damit ist auch dieser Argumentationsansatz des Gerichts für eine Differenzierung zwischen Versandhandel und Abgabe über den Freiwahlbereich untauglich.

Zusammenfassung:

Das BVerwG erklärt das Angebot von OTC-Arzneimitteln in der Freiwahl der Präsenzapotheke für eine unzulässige Selbstbedienung i. S. d. § 17 Abs. 3 ApBtrO. Eine verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung von Präsenzapotheken mit Blick auf den zugelassenen Versandhandel vermag das Gericht nicht zu erkennen. Es begründet seine Auffassung, indem es versucht entscheidende Unterschiede zwischen dem Angebot in der Freiwahl einerseits und dem Angebot im Internet andererseits herauszuarbeiten. Allerdings erweisen sich die hierzu angeführten Argumente als nicht überzeugend. Insbesondere unterscheidet sich die Klientel von Internet- und Präsenzapotheken und damit der Beratungs- und Schutzbedarf der Kunden nicht grundlegend. Hinzu tritt, dass sowohl der Versand- wie auch der Präsenzapotheker die Verfügungsgewalt über das pharmazeutische Präparat bis zur Abgabe vollumfänglich behält. Daher wäre aus verfassungsrechtlicher Sicht die Schlüssigkeit der Gefahreinschätzung deutlicher zu hinterfragen gewesen (vgl. BVerfGE 107, 186/197), was das Urteil durchaus angreifbar macht.

OLG Nürnberg – „Kräutermischungen“: Funktionsarzneimittelbegriff

Kräutermischungen (zerkleinerte und getrocknete Pflanzenteile), die mit Zusätzen von Cannaboiden versehen sind, sind nach Ansicht des OLG Nürnberg (Urt. v. 10.12.2012, 1 St OLG Ss 246/12) als Arzneimittel einzustufen. Der Strafsenat subsumiert bei seiner Entscheidung streng unter § 2 Abs. 1 Nr. 2a AMG. Danach sind Arzneimittel Stoffe, die im oder am menschlichen Körper angewendet oder einem Menschen verabreicht werden können, um die physiologischen Funktionen durch eine pharmakologische, immunologische oder metabolische Wirkung wiederherzustellen, zu korrigieren oder zu beeinflussen. Dies träfe auf die vorliegend untergemischten cannaboiden Substanzen zu, die in Kräutermischungen regelmäßig als Joint konsumiert würden. Zur Untermauerung verweist das Gericht auf BGHSt 54, 243: Stehe bei tatsächlich dem Wortlaut des § 2 Abs. 1 AMG nach wirkenden Substanzen fest, dass zahlreichen Verbrauchern die Wirkungsweise bekannt ist und sich auch ein entsprechender Markt gebildet hat, d.h. die Substanz nach allgemeiner Verkehrsanschauung aus der Sicht eines durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Verbrauchers im Falle der Einnahme dazu bestimmt ist, den seelischen Zustand eines Menschen zu beeinflussen, liegt bereits nach objektiven Kriterien ein Arzneimittel vor.

Anmerkung: Wir befinden uns beim Funktionsarzneimittelbegriff. Das OLG Nürnberg nimmt zunächst zutreffend Bezug auf die BGH-Rechtsprechung zu § 2 Abs. 1 AMG. Es übersieht jedoch, dass es bei der Subsumtion eines Stoffes unter den Funktionsarzneimittelbegriff nicht ausreicht, allein auf seine objektive Zweckbestimmung abzustellen (hier Konsum als Joint, um eine cannaboide Wirkung zu erzielen). Vielmehr muss als weiteres Merkmal hinzutreten, dass das konkrete Erzeugnis, um dessen Einstufung es geht, tatsächlich pharmakologische Eigenschaften besitzt. Der EuGH hat in seiner Entscheidung C-319/05 in Bezug auf die Funktionsarzneimitteleigenschaft ausgeführt:

„Der Begriff des Arzneimittels nach der Funktion [soll] diejenigen Erzeugnisse erfassen, deren pharmakologische Eigenschaften wissenschaftlich festgestellt wurden und die tatsächlich dazu bestimmt sind, eine ärztliche Diagnose zu erstellen oder physiologische Funktionen wiederherzustellen, zu bessern oder zu beeinflussen.“

Eben diese Feststellung der pharmakologischen Eigenschaften am konkreten Produkt bleibt im Urteil des OLG Nürnberg unscharf, was die Entscheidung mit Blick auf Art. 103 Abs. 2 GG bedenklich erscheinen lässt. Der Sachverständige hatte geäußert, die Konzentration der psychoaktiven Inhaltsstoffe schwanke. Es bestehe die Gefahr der Überdosierung, da die Wirkstoffe innerhalb der einzelnen Kräutermischungen inhomogen verteilt seien, was z. B. darauf beruhe, dass die Mischung von Kräutern und Chemikalien nicht sorgfältig durchgeführt werde. Es fehlen Feststellungen zur Konzentration jedes einzelnen Päckchens. – Hier wären mit Blick auf die zitierte Rechtsprechung des EuGH und des BGH, auf die sich das OLG z. T. selbst bezieht, konkrete Feststellungen erforderlich gewesen. Insbesondere hätte sachverständig geklärt werden müssen, welche Kräutermischung tatsächlich hinreichende pharmakologische Eigenschaften aufwies.

BGH: Gesundheitsbezogene Angabe i. S. v. Art. 2 II Nr. 5 HCV vs. „Allgemeines Wohlbefinden“

Der BGH hat sein Vorabentscheidungsersuchen in Sachen Gurktaler Kräuterlikör (I ZR 22/09) beim EuGH zurückgenommen. Somit wird nach dem EuGH-Beschluss zur Streichung der Rechtssache aus dem Register vom 06.11.2012 keine ausdrückliche Entscheidung über die vom BGH gestellte Frage ergehen, ob der Begriff der Gesundheit in der Definition der „gesundheitsbezogenen Angabe“ nach der Healthclaimsverordnung auch das allgemeine Wohlbefinden erfasse.

Anmerkung: Der BGH hat sein Ersuchen im Hinblick auf die Entscheidung des EuGH in Sachen „Deutsches Weintor“ (C-544/10) zurückgenommen. Darin hatte sich der Weinvermarkter auf den Wohlbefindensbegriff gestützt; allerdings hatte er diesen Ausdruck in seiner Werbung nicht wörtlich verwendet, sondern seinen Wein unter Hinweis auf einen reduzierten Säuregehalt als „bekömmlich“ bezeichnet. Der EuGH definiert den Begriff „gesundheitsbezogene Angabe“ ausgehend von dem Zusammenhang, der zwischen einem Lebensmittel und der Gesundheit bestehen muss. Dabei sei der Begriff „Zusammenhang“ weit zu verstehen. Die vorliegende Werbung sei geeignet, eine nachhaltige positive physiologische Wirkung zu suggerieren, die in der Erhaltung des Verdauungssystems in gutem Zustand besteht, während für andere Weine unterstellt werde, dass sie bei häufigem Verzehr nachhaltige negative Auswirkungen auf das Verdauungssystem und folglich auf die Gesundheit haben. Demnach liegt nach Auffassung des EuGH auch in Aussagen wie der hier getroffenen, die mit Signalworten wie „bekömmlich“ und „reduziertem Säuregehalt“ durchaus Elemente des Wohlbefindens enthält, eine „gesundheitsbezogene Angabe“. Werbende müssen sich somit an den Grundsätzen der Entscheidung Deutsches Weintor (siehe hierzu gesonderten Beitrag) orientieren und damit rechnen, dass bei Angaben, die auf das allgemeine Wohlbefinden hindeuten, im Zweifel gleichwohl eine gesundheitsbezogene Angabe gegeben sein kann, wenn ein „Gesundheitszusammenhang“ festzustellen ist, wie er vom EuGH in seiner Entscheidung C-544/10 entwickelt wurde.

EuGH, Urt. v. 06.09.2012, C-544-10 – Deutsches Weintor

Die Bezeichnung von Wein als „bekömmlich“ ist eine gesundheitsbezogene Angabe gemäß Art. 4 Abs. 3 Unterabs. 1 der Healthclaimsverordnung, wenn die Bezeichnung verbunden wird mit dem Hinweis auf einen reduzierten Gehalt an Stoffen, die von einer Vielzahl von Verbrauchern als nachteilig angesehen werden.

Anmerkung: Der EuGH ist der Ansicht des Weinvermarkters, es handele sich um eine Angabe zum allgemeinen Wohlbefinden, weshalb sie keinen Gesundheitsbezug aufweise, nicht gefolgt. Aus dem Wortlaut des Art. 2 Abs. 2 Nr. 5 HCV gehe hervor, dass eine „gesundheitsbezogene Angabe“ ausgehend von dem Zusammenhang definiert wird, der zwischen einem Lebensmittel (oder seinen Bestandteilen) und der Gesundheit bestehen muss. Diese Definition enthalte weder genauere Angaben dazu, ob es sich um einen unmittelbaren oder mittelbaren Zusammenhang handeln muss, noch zu dessen Intensität und Dauer. Unter diesen Umständen sei der Begriff „Zusammenhang“ weit zu verstehen.

Damit verwirft der EuGH die vom BVerwG als vorlegender Instanz geäußerten Erwägungen, es spreche einiges dafür, eine gesundheitsbezogene Angabe erst dann anzunehmen, wenn längerfristige, nachhaltige Auswirkungen auf den körperlichen Zustand oder die Befindlichkeit angesprochen würden und nicht bloß flüchtige Einwirkungen auf Stoffwechselvorgänge. Der EuGH stellt klar, dass sowohl die vorübergehenden und flüchtigen Auswirkungen als auch die kumulativen Auswirkungen des wiederholten und längerfristigen Verzehrs zu berücksichtigen sind. Darüber hinaus würdigt das Gericht den Umstand, dass neben der positiven Auslobung „bekömmlich“ auch das Fehlen oder die Minderung negativer oder schädlicher Auswirkungen suggeriert wurde, was für den Begriff der gesundheitsbezogenen Angabe ebenfalls relevant sei.

Obwohl die Entscheidung im Rahmen der Alkoholwerbung erging und der EuGH ausdrücklich auf Art. 4 Abs. 3 S. 1 HCV hinweist, der vorsieht, dass gesundheitsbezogene Angaben bei Getränken mit einem Alkoholgehalt von mehr als 1,2 Volumenprozent ausnahmslos verboten sind, wird die Entscheidung weitreichende Auswirkungen auf die Rechtsprechung auch im Bereich außerhalb der Werbung für alkoholische Getränke haben. Das weite Verständnis des Begriffs „Zusammenhang zwischen Lebensmittel und Gesundheit“ ist im Lebensmittelrecht bereichsübergreifend anzuwenden. Das „allgemeine Wohlbefinden“ gerät damit weiter ins Hintertreffen.

BGH: Wirksamkeitsnachweis bei einer Ergänzenden Bilanzierten Diät.

BGH I ZR 44/11, Urt. v. 15.03.2012 – „Artrostar“: Der Wirksamkeitsnachweis bei einer Ergänzenden Bilanzierten Diät gegen Gelenkschmerzen verlangt eine placebokontrollierte Doppelblindstudie, weil in diesem Sonderfall objektiv messbare organische Befundmöglichkeiten fehlen und der Wirksamkeitsnachweis, der gemäß Art. 3 S. 2 der Richtlinie 1999/21/EG durch allgemein anerkannte wissenschaftliche Daten zu belegen ist, allein von einer Beurteilung des subjektiven Empfindens der Probanden abhängt.

Anmerkung: Auch wenn der BGH in seiner „Priorin“-Entscheidung ausführt, bei der Frage der Wirksamkeit bilanzierter Diäten sei ein bis ins Einzelne gehender Nachweis des diätetischen Wirkungszusammenhangs nicht erforderlich (BGH ZLR 2009, 76/81), so kommen Hersteller auch im lebensmittelrechtlichen Bereich bei Auslobungen, die ausschließlich das subjektive Empfinden des Verbrauchers ansprechen, um Studien nicht herum, die den Standards des Arzneimittelrechts genügen.

OLG Hamburg – Praebiotik + Probiotik I

OLG Hamburg, Urt. v. 14.06.2012 – 3 U 5/12: Nach Auffassung des OLG Hamburg handelt es sich bei der Aussage eines Herstellers von Baby-Folgenahrung „Magen-Darm-Probleme“ träten bei Kindern, die eine Folgenahrung mit Praebiotika und Probiotika erhalten, um 61% verringert auf im Vergleich zu Kindern, die eine Folgenahrung nur mit Probiotika erhalten, um eine Werbung mit Krankheitsbezug i. S. v. § 12 Abs. 1 LFGB. Diese Werbung sei daher verboten. § 12 LFGB sei neben Art. 14 Abs. 1 Healthclaimsverordnung (VO EG Nr. 1924/2006) anwendbar. Das Verbot des § 12 LFGB setze nicht voraus, dass die Werbeaussage eine konkrete Krankheit benennt. Es genüge ein indirekter Bezug, der hier gegeben sei. Die Aussage sei nicht nur als Hinweis auf eine bessere Verträglichkeit zu verstehen. Zumindest seien Magen-Darm-Beschwerden mit Krankheitswert „auch“ erfassbar. Diese Mehrdeutigkeit müsse der Hersteller gegen sich gelten lassen.

Anmerkung: Das Gericht vertritt eine sehr weite Auslegung des Krankheitsbegriffs. Gerade bei Kleinkindern wird der informierte, aufmerksame und verständige Durchschnittsverbraucher (i. d. R. die Eltern) unter „Magen-Darm-Problemen“ keine Krankheit, sondern vielmehr die alltäglichen „Verdauungsprobleme mit Bauchweh und durchwachten Nächten“ verstehen. Die Entscheidung vermittelt ein Verbraucherleitbild, das nicht mehr in die heutige Zeit passt. Gleichwohl sind Hersteller und Werbende gehalten, bei Claims lieber noch eine Klarstellung mehr zu verwenden, vorliegend z.B. mit den Worten „alltäglich“ oder „bei Kleinkindern entwicklungsbedingt“.