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BGH Apothekenrecht: Neukundenwerbung mit Gutscheinen mit Rx-Bezug unzulässig

Apotheker müssen trotz kritischer Sicht des EuGH auf die deutsche Preisbindung bei der Neukundenwerbung Vorsicht walten lassen. Nach Auffassung des Bundesgerichtshofs (Urt. v. 29.11.2018, BGH I ZR 237/16) verstößt es gegen §§ 8, 3, 3a UWG in Verbindung mit § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 2 HWG, § 78 Abs. 2 Satz 2 und 3, Abs. 3 Satz 1 AMG, wenn ein Apotheker Kunden eine Prämie in Höhe von 10 € für jeden neu geworbenen Kunden verspricht, soweit der neu geworbene Kunde ausschließlich preisgebundene Arzneimittel erwirbt.

Der BGH führt aus, das  Berufungsgericht  habe zu Recht angenommen, es handele es sich bei der Werbung des Apothekers um produktbezogene Werbung (wie vom HWG verlangt). Die Werbung betreffe das gesamte Sortiment der Apotheke, weil die versprochene  Zuwendung  an  die  Voraussetzung  geknüpft  sei,  dass  ein  neuer Kunde ein vom Beklagten angebotenes Produkt erwerbe. Die Werbung sei daher keine  allgemeine Firmenwerbung,  sondern eine  Maßnahme  zur  Förderung des Absatzes der von der Apotheke vertriebenen Produkte.

Dem stehe auch der Arzneimittelkodex nicht entgegen. Insbesondere den Regelungen der  Art. 86 und 89 der Richtlinie 2001/83/EG sei nicht zu entnehmen, dass allein die Werbung für ein einzelnes Produkt verboten, die Werbung für lediglich ihrer Art nach bestimmte Arzneimittel oder das gesamte Warensortiment dagegen erlaubt sei.

Zudem liege ein Verstoß gegen die arzneimittelrechtliche Preisbindung nicht nur vor, wenn der Apotheker ein preisgebundenes Arzneimittel zu einem niedrigeren Preis abgibt. Die Bestimmungen der Arzneimittelpreisverordnung seien vielmehr  auch  dann  verletzt,  wenn  für  das  preisgebundene  Arzneimittel  zwar der vorgeschriebene Preis angesetzt wird, dem Kunden aber gekoppelt mit dem Erwerb des Arzneimittels Vorteile gewährt werden, die den Erwerb für ihn wirtschaftlich günstiger erscheinen lassen (vgl. BGH, Urteil vom 9.September 2010 – IZR193/07, GRUR 2010, 1138 Rn.17 =WRP 2010, 1482 – UNSER DANKE-SCHÖN  FÜR  SIE,  m. w. N;  BGH,  GRUR  2017,  635  Rn. 37 – Freunde  werben Freunde).

Schließlich seien die in § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 HWG in Bezug  genommenen Preisvorschriften des Arzneimittelgesetzes auch nicht aus unions- oder verfassungsrechtlichen  Gründen  unanwendbar  oder  unwirksam. Die  Revision rüge ohne Erfolg, die in §78 Abs. 2 AMG enthaltene Regelung könne nach dem Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union in der Sache Deutsche Parkinson Vereinigung/Zentrale (EuGH, Urteil  vom  19. Oktober  2016 -C- 148/15, GRUR 2016, 1312 = WRP 2017, 36) keine Geltung mehr beanspruchen. Diese Entscheidung habe keine direkte Bedeutung für den Streitfall, da dieser einen rein innerstaatlichen Sachverhalt betreffe. Der Umstand, dass ausländische Versandapotheken der Preisbindung nicht unterliegen, führe auch zu keiner relevanten  Ungleichbehandlung  im  Sinne  von  Art. 3 Abs. 1 GG. Ebensowenig könne angenommen werden,  dass die mit dem  einheitlichen Apothekenabgabepreis verbundene Einschränkung der Berufsfreiheit nicht (mehr) gerechtfertigt sein könnte.

Nach diesen Maßstäben läge im Streitfall ein Verstoß gegen die arzneimittelrechtliche  Preisbindung  vor.  Nach  der  beanstandeten  Werbung  des Apothekers werde die Prämie in Höhe von 10 € ohne Einschränkung für jede Werbung eines neuen Kunden und damit auch dann gewährt, wenn der neue Kunde  bei der Apotheke  ausschließlich  Arzneimittel  erwerbe,  für  die  ein  einheitlicher Apothekenabgabenpreis zu gewährleisten ist.

OLG Koblenz, Urt. v. 11.12.2013 – Rotbäckchen

Nach der vorstehenden Entscheidung handelt es sich bei der Werbung für Kindersaft mit den Aussagen „Lernstark“ und „Mit Eisen zur Unterstützung der Konzentrationsfähigkeit“ um unzulässige gesundheitsbezogene Angaben i. S. d. Art. 10 HCV (VERORDNUNG (EG) NR. 1924/2006).

 

Anmerkung:

1. In Bezug auf „Lernstark“ führt das Gericht zunächst zutreffend aus, dass es sich um eine gesundheitsbezogene Angabe handele, da auf Förderung der geistigen Tätigkeit abgestellt werde. Bei seiner anschließenden Prüfung des Art 10 Abs. 3 HCV geht das Gericht jedoch fehl in der Annahme, „Lernstark“ sei eine hinreichend spezifizierte und konkrete Aussage, sodass Art. 10 Abs. 3 HCV nicht anwendbar sei. Diese Vorschrift erklärt allgemeine, nichtspezifische Vorteile eines Lebensmittels für die Gesundheit oder für das Wohlbefinden für zulässig, wenn ihnen eine zugelassene gesundheitsbezogene Angabe beigefügt sei. Das Gericht prüft nämlich nicht, ob der Begriff überhaupt als spezielle gesundheitsbezogene Angabe zugelassen werden könnte. Diese Zulassungseignung ist wesentliches Abgrenzungskriterium zwischen allgemeinen Angaben gem. Art. 10 Abs. 3 HCV und spezifischer (zulassungspflichtiger) Gesundheitswerbung (vgl. BGH GRUR 2013, 958/959 Rz. 13 – Vitalpilze; EU-Leitlinie gem. Beschluss 2013/63/EU). Der Begriff „Lernstark“ ist derart allgemein gehalten, dass er wohl kaum einer Zulassung zugänglich ist, weil hinreichende Beurteilungskriterien fehlen dürften, die eine wissenschaftliche Bewertung zuließen.

2. Bei der Aussage „Mit Eisen zu Unterstützung der Konzentrationsfähigkeit“ hat das OLG Koblenz schlicht übersehen, dass es eine gem. Art. 14 Abs. 1 lit. b HCV für Kinder zugelassene Angabe für Eisen gibt, die lautet „Eisen trägt zur normalen kognitiven Entwicklung von Kindern bei.“ Da Erwägungsgrund 11 Satz 2 der Verordnung 957/2010 gleichbedeutende Angaben ausdrücklich zulässt, war auch die Verwendung der Aussage „Mit Eisen zur Unterstützung der Konzentrationsfähigkeit “ zulässig und hätte vom Oberlandesgericht nicht untersagt werden dürfen.

 

Ausblick: Die Rechtssache ist beim BGH (I ZR 222/13) anhängig. Dessen Entscheidung darf mit Spannung erwartet werden.

OLG Nürnberg – „Kräutermischungen“: Funktionsarzneimittelbegriff

Kräutermischungen (zerkleinerte und getrocknete Pflanzenteile), die mit Zusätzen von Cannaboiden versehen sind, sind nach Ansicht des OLG Nürnberg (Urt. v. 10.12.2012, 1 St OLG Ss 246/12) als Arzneimittel einzustufen. Der Strafsenat subsumiert bei seiner Entscheidung streng unter § 2 Abs. 1 Nr. 2a AMG. Danach sind Arzneimittel Stoffe, die im oder am menschlichen Körper angewendet oder einem Menschen verabreicht werden können, um die physiologischen Funktionen durch eine pharmakologische, immunologische oder metabolische Wirkung wiederherzustellen, zu korrigieren oder zu beeinflussen. Dies träfe auf die vorliegend untergemischten cannaboiden Substanzen zu, die in Kräutermischungen regelmäßig als Joint konsumiert würden. Zur Untermauerung verweist das Gericht auf BGHSt 54, 243: Stehe bei tatsächlich dem Wortlaut des § 2 Abs. 1 AMG nach wirkenden Substanzen fest, dass zahlreichen Verbrauchern die Wirkungsweise bekannt ist und sich auch ein entsprechender Markt gebildet hat, d.h. die Substanz nach allgemeiner Verkehrsanschauung aus der Sicht eines durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Verbrauchers im Falle der Einnahme dazu bestimmt ist, den seelischen Zustand eines Menschen zu beeinflussen, liegt bereits nach objektiven Kriterien ein Arzneimittel vor.

Anmerkung: Wir befinden uns beim Funktionsarzneimittelbegriff. Das OLG Nürnberg nimmt zunächst zutreffend Bezug auf die BGH-Rechtsprechung zu § 2 Abs. 1 AMG. Es übersieht jedoch, dass es bei der Subsumtion eines Stoffes unter den Funktionsarzneimittelbegriff nicht ausreicht, allein auf seine objektive Zweckbestimmung abzustellen (hier Konsum als Joint, um eine cannaboide Wirkung zu erzielen). Vielmehr muss als weiteres Merkmal hinzutreten, dass das konkrete Erzeugnis, um dessen Einstufung es geht, tatsächlich pharmakologische Eigenschaften besitzt. Der EuGH hat in seiner Entscheidung C-319/05 in Bezug auf die Funktionsarzneimitteleigenschaft ausgeführt:

„Der Begriff des Arzneimittels nach der Funktion [soll] diejenigen Erzeugnisse erfassen, deren pharmakologische Eigenschaften wissenschaftlich festgestellt wurden und die tatsächlich dazu bestimmt sind, eine ärztliche Diagnose zu erstellen oder physiologische Funktionen wiederherzustellen, zu bessern oder zu beeinflussen.“

Eben diese Feststellung der pharmakologischen Eigenschaften am konkreten Produkt bleibt im Urteil des OLG Nürnberg unscharf, was die Entscheidung mit Blick auf Art. 103 Abs. 2 GG bedenklich erscheinen lässt. Der Sachverständige hatte geäußert, die Konzentration der psychoaktiven Inhaltsstoffe schwanke. Es bestehe die Gefahr der Überdosierung, da die Wirkstoffe innerhalb der einzelnen Kräutermischungen inhomogen verteilt seien, was z. B. darauf beruhe, dass die Mischung von Kräutern und Chemikalien nicht sorgfältig durchgeführt werde. Es fehlen Feststellungen zur Konzentration jedes einzelnen Päckchens. – Hier wären mit Blick auf die zitierte Rechtsprechung des EuGH und des BGH, auf die sich das OLG z. T. selbst bezieht, konkrete Feststellungen erforderlich gewesen. Insbesondere hätte sachverständig geklärt werden müssen, welche Kräutermischung tatsächlich hinreichende pharmakologische Eigenschaften aufwies.

BGH: Gesundheitsbezogene Angabe i. S. v. Art. 2 II Nr. 5 HCV vs. „Allgemeines Wohlbefinden“

Der BGH hat sein Vorabentscheidungsersuchen in Sachen Gurktaler Kräuterlikör (I ZR 22/09) beim EuGH zurückgenommen. Somit wird nach dem EuGH-Beschluss zur Streichung der Rechtssache aus dem Register vom 06.11.2012 keine ausdrückliche Entscheidung über die vom BGH gestellte Frage ergehen, ob der Begriff der Gesundheit in der Definition der „gesundheitsbezogenen Angabe“ nach der Healthclaimsverordnung auch das allgemeine Wohlbefinden erfasse.

Anmerkung: Der BGH hat sein Ersuchen im Hinblick auf die Entscheidung des EuGH in Sachen „Deutsches Weintor“ (C-544/10) zurückgenommen. Darin hatte sich der Weinvermarkter auf den Wohlbefindensbegriff gestützt; allerdings hatte er diesen Ausdruck in seiner Werbung nicht wörtlich verwendet, sondern seinen Wein unter Hinweis auf einen reduzierten Säuregehalt als „bekömmlich“ bezeichnet. Der EuGH definiert den Begriff „gesundheitsbezogene Angabe“ ausgehend von dem Zusammenhang, der zwischen einem Lebensmittel und der Gesundheit bestehen muss. Dabei sei der Begriff „Zusammenhang“ weit zu verstehen. Die vorliegende Werbung sei geeignet, eine nachhaltige positive physiologische Wirkung zu suggerieren, die in der Erhaltung des Verdauungssystems in gutem Zustand besteht, während für andere Weine unterstellt werde, dass sie bei häufigem Verzehr nachhaltige negative Auswirkungen auf das Verdauungssystem und folglich auf die Gesundheit haben. Demnach liegt nach Auffassung des EuGH auch in Aussagen wie der hier getroffenen, die mit Signalworten wie „bekömmlich“ und „reduziertem Säuregehalt“ durchaus Elemente des Wohlbefindens enthält, eine „gesundheitsbezogene Angabe“. Werbende müssen sich somit an den Grundsätzen der Entscheidung Deutsches Weintor (siehe hierzu gesonderten Beitrag) orientieren und damit rechnen, dass bei Angaben, die auf das allgemeine Wohlbefinden hindeuten, im Zweifel gleichwohl eine gesundheitsbezogene Angabe gegeben sein kann, wenn ein „Gesundheitszusammenhang“ festzustellen ist, wie er vom EuGH in seiner Entscheidung C-544/10 entwickelt wurde.