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OLG Hamburg – „Mit natürlichen Milchsäurekulturen“

Urt. v. 29.08.2013 3 U 12/12

Eine Werbung für Babynahrung mit der vorbezeichneten Angabe ist irreführend, wenn die Milchsäurekultur nicht der Natur entnommen, sondern im Labor durch einen enzymatischen Selektionsprozess in ihrer biochemischen (genetischen) Beschaffenheit verändert wurde.

Anmerkung: Diese Entscheidung ist deshalb interessant, weil sie hinsichtlich der Verbrauchererwartung, was lebensmittelrechtlich unter „natürlich“ zu verstehen ist, eine klare Position bezieht und dabei eine zutreffende Abgrenzung vornimmt zum Recht der Aromastoffe. Obwohl sich die streitige Werbung nicht auf Aromen, sondern auf andere Zutaten bezog, hatte sich der Werbende auf Anlage 1 der Aromenverordnung (damalige Fassung) berufen, wonach solche Aromen „natürlich“ sind, die durch geeignete physikalische, enzymatische oder mikrobiologische Verfahren aus Ausgangsstoffen pflanzlicher oder tierischer Herkunft gewonnen werden.[1] Zunächst äußert das Gericht Bedenken ob die zitierte Spezialnorm überhaupt geeignet ist, das allgemeine Verkehrsverständnis zu prägen. Hier hätte das Gericht, das diese Frage offenlässt, schon zu einer Verneinung dieser Frage gelangen können, da es später zutreffend auf die Differenzierung aus dem Lebensmittel-Zusatzstoffrecht verweist, die eine allgemeine Anwendung des Aromastoffes auf alle Zutaten gerade ausschließt. In dem lebensmittelrechtlichen Sonderbereich des Zusatzstoffrechts unterscheidet man (1) zwischen „natürlichen Stoffen“, also solchen die in der Natur vorkommen, (2) „Stoffen natürlicher Herkunft“, also Stoffe, die aus natürlichen Stoffen durch bestimmte Verfahren gewonnen werden, und (3) „chemisch gleiche Stoffe“, die chemisch hergestellt und mit natürlichen Stoffen chemisch identisch sind. Schon diese Dreiteilung zeigt, dass sehr genau zu differenzieren ist. Das Gericht kommt daher im Ergebnis zutreffend zu dem Schluss, dass die Regeln des Aromastoffrechts nicht auf andere Zutaten übertragen werden können, da dem Verbraucher bei Aromen klar sei, dass es sich um Stoffe handele, die aus dem Ausgangsprodukt erst noch herausgelöst werden müssten, dass also Verarbeitungsschritte zwangsläufig seien und das Wort „natürlich“ bei Aromen – im Gegensatz zu anderen Lebensmittelzutaten – nicht die Abwesenheit solcher Verarbeitungsschritte bezeichnet, sondern nur die Natürlichkeit des Ausgangsstoffs.

Ergebnis: In der Lebensmittelwerbung ist sorgfältig zu differenzieren zwischen „natürlichen Zutaten“ und „Zutaten natürlicher Herkunft“. Lediglich das Aromastoffrecht nimmt hier eine Sonderposition ein, die jedoch nicht auf andere Zutaten übertragbar ist.


 

[1] Def. „natürlicher Aromastoff“ nach aktueller EU-VO 1334/2008, Art. 3 Abs. 2: „Aromastoff, durch geeignete physikalische, enzymatische oder mikrobiologische Verfahren aus pflanzlichen, tierischen oder mikrobiologischen Ausgangsstoffen gewonnen, die als solche verwendet oder mittels eines oder mehrerer der in Anhang II aufgeführten herkömmlichen Lebensmittelzubereitungsverfahren für den menschlichen Verzehr aufbereitet werden. Natürliche Aromastoffe sind Stoffe, die natürlich vorkommen und in der Natur nachgewiesen wurden.“